CD: The Ongoing Concept - Handmade

Wer die junge Band aus dem US-Staat Idaho schon seit ihrem Debut "Saloon" verfolgt weiß, dass "anders" sind als die durchschnittliche Metalcore Band. Sie experimentieren viel, schrecken nicht vor für das Genre untypischen Instrumenten zurück und haben unglaublich viel System und Raffinesse in ihrer Musik, auch wenn man anfangs etwas Zeit benötigt um diese in dem "Krach" wirklich zu finden.
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The Ongoing Concept
Mit Saloon haben sie bereits bewiesen was sie können und dass sie (auch und vor allem live) ganz oder garnicht dabei sind. Die Vier Amerikaner sind keine Freunde halber Sachen.
Um dieses Konzept zur Vollendung zu bringen, haben sie den Albumtitel "Handmade" auf ein völlig neues Level gebracht. Nicht nur haben sie die Musik selbst gemacht (wie zu erwarten sein sollte) sondern, und das macht das Album so unfassbar genial, sie haben auch ihre Instrumente selbst hergestellt. Mit einem Baum, den sie selbst gefällt und in einer Eigenkreation von Sägemühle selbst verarbeitet haben. Als die ersten Teaser des Mitte Juni erschienen Albums veröffentlicht worden sind konnten es wohl viele erst einmal nicht fassen.
Die Trailer allerdings bewiesen, dieses Album ist bis ins kleinste Detail wortwörtlich "Handmade" - handgemacht.
Nun aber genug zur Vorgeschichte. Um mit dem Artwork der Platte anzufangen, da haben The Ongoing Concept es schlicht gehalten. Auf dem Cover ist die Band zu sehen, die zu drei vierteln an einen Truck gelehnt eher relaxt daherschaut während Sänger Kyle sich mit der Axt an einer riesigen Kiefer zu schaffen macht. Da Booklet ist auf das nötigste reduziert: Weiße Seiten mit dem Text, über jedem Lied die Umrisse eines Werkzeugs. So einfach das ganze ist, so genial ist es doch gleichzeitig.

Die Platte selbst enthält 10 Titel:

01 Handmade
02 Amends
03 Feel
04 Trophy
05 Prisoner
06 Melody
07 Unwanted
08 Soul
09 Survivor
10 Falling

Der erste Titel ist, wie schon auf Saloon, nicht wirklich ein Song, sondern eher ein Instrumental. Und den eingesessenen TOC Fan wird beim ersten Hören ein kleiner Schlag treffen - "woher kenne ich diese Melodie??!" - bis es klingelt: Mit den ersten Takten des Intros "Handmade" haben The Ongoing Concept den Faden des letzten Songs vom Vorgängeralbum aufgenommen. Wirklich raffiniert wird es aber erst, als die Melodie abbricht, man einen Autoschlüssel klimpern hört und ein Wagen abgestellt wird. Dann hört man einige Schritten und eine Axt beginnt rhythmisch auf Holz zu schlagen. Sozusagen lief das Album der Band im eigenen Auto, wo der letzte Ton verklingt und mit dem Schlagen des Baums das neue Album begonnen wird. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen.

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Gegen Ende des Intros setzt ein Schnipsen ein, das sich zum Beginn von "Amends" schnell mit den
Drums vereint. Dann fallen die ersten Vocals ein, schnell, rhythmisch, mitreißend. Und dann kommen die Trompeten. Wieder einmal schafft es die Band, dass einem mit dem ersten Lied auf dem Album der Mund offen stehen bleibt. Wie intelligent die Jazz Elemente in den Song eingebaut sind, der sonst so garnicht jazzig ist und eher chaotisch scheint, ist wirklich nicht zu verachten. The Ongoing Concept beweisen mal wieder, dass sie es können und sich aus dem mitunter sehr einheitlichen Massengewerbe des Metalcore deutlich abheben.

Auch "Feel" ist mit einer ordentlichen Prise Jazz ausgestattet, vor allem zu Beginn, wo man Geschrei und laute E-Gitarren dem ersten Eindruck nach nicht vermuten würde; bis man zur Bridge kommt. Dann kommt beinahe schon ein wenig ironisch ein kleiner Breakdown durch, bis der Jazztakt wieder die Überhand gewinnt. Neben der musikalischen Hochwertigkeit wird hier auch in den Lyrics ein wichtiges Thema behandelt: Das Streben jedem gefallen zu wollen. Bedingungslos. Auch wenn uns diejenigen, denen wir gefallen wollen das Gefühl geben, nichts wert zu sein. Denn obwohl sie uns runtermachen, inspirieren sie uns dazu, nach höherem zu streben, besser zu werden, ihnen zu beweisen, dass wir etwas können. Ich glaube, jeder kennt genau dieses Gefühl.

Bei "Trophy" geht es dann wieder mit ordentlich Rock'n'Roll zur Sache, fängt der Song doch schon mit einem Riff an der einmal ohne Umwege straight forward geht. Hier bringen The Ongoing Concept Rock vom feinsten auf die Platte, der nicht so chaotisch ist wie andere der Songs und einen klaren Beat hat, der sich wie eine Linie durch den gesamten Song zieht. Der Text ist bei einem
genaueren Blick etwas verwirrend und nicht ganz einfach zu verstehen. Es geht darum, wie Menschen Macht gegeben wird, die sie nicht verdienen. Den Kindern wird erzählt, dass ihnen die Welt zu Füßen liegt, aber nicht, dass man auch arbeiten muss, um etwas zu erreichen. Wenn sich dann die reale Welt zeigt, die so unfair sein kann, wo andere diskriminiert werden zum eigenen Vorteil, dann werden sie auf einmal hilflos. Diese naive Arroganz kann einem ganz schnell zum Verhängnis werden - und davor wollen TOC hier warnen.

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Time Passed By Photography
Auch im nächsten Song geht es laut und rockig weiter. Die anfänglich einsame E- Gitarre wird in "Prisoner" schnell vom Bass und Schlagzeug unterstützt. Alles gemeinsam ergibt ein mitreißendes Gewebe aus kunstvoll eingesetzten Riffs, Wechseln im Takt und einem Refrain der ins Ohr geht: "Give it up, give it up all you liars and thieves/ give it up, give it up, you're killing passion with greed/ We're all just prisoners" Das Lied ist eine Aufforderung, sich von all den Lügen die uns die Gesellschaft heutzutage vorgaukelt loszureißen: Schönheitsideale, Wertsteigerung der eigenen Persönlichkeit durch Markenartikel. Sich nicht vordiktieren zu lassen, wie die Zukunft aussehen soll und sich nicht die Leidenschaft wegnehmen zu lassen für die Dinge die man liebt.

Während das vorhergehende Lied ordentlich vorwärts geht überrascht "Melody" mit dem heiteren Einsatz einer Ukulele. Der gesamte Titel ist unbeschwert, mit der schnell geschrammelten Ukulele, dem Klavier und dem fröhlichen Beat des Schlagzeugs. In Anbetracht der Lyrics ist diese Aufmachung schon fast etwas ironisch. Es ist ein Liebeslied, das an Melody gerichtet ist. Sie wird als Prinzessin dargestellt, die den 'Erzähler' in diesem Song allein gelassen hat. Er würde alles tun um sie zurückzuerobern, doch sie wollte ihn testen: Wie viel nimmt er wirklich auf sich, um sie aus dem Turm in dem sie weggesperrt ist zu befreien? Diese Verzweiflung und die Opferbereitschaft werden in der Bridge deutlich, in der der Gesang in leidenschaftliches Geschrei übergeht, bevor der Song leise und sanft sein Ende findet.

Im großen Konstrukt des Albums scheint "Melody" in Anbetracht des nächsten Songs wirklich etwas ironisch. "Unwanted", die erste Single Auskopplung des Albums zu der auch ein Musikvideo veröffentlicht wurde, ist nämlich alles andere als sanft. Auch dieses Lied ist ein Liebeslied, wenn auch wirklich eher mit melancholischem Hintergrund. Wie der Titel "Unwanted" ja schon sagt ist es eine unerwiderte Liebe. Allerdings trauert das erzählende Ich nicht lebenslang über die Abweisung, sondern reißt sich zusammen, lebt weiter. Als sich das Gegenüber plötzlich überlegt, dass er/sie sich doch eine Beziehung vorstellen könnte, dreht sich der Spieß um: Nun ist der/die ehemalige Angebetete "the one Unwanted". Musikalisch erinnert hier der Einsatz von einem Synthesizer an das frühe Werk "Arrows Before Bullets" von The Ongoing Concept. Neben dem vielen neuen, was sie ausprobieren, vergessen sie auch ihre Wurzeln nicht und begeben sich gern einmal "Back to the roots".

"Soul" ist als nächstes wieder harter Country Rock'n'Roll. Im Laufe des Songs kommen die "I sold my soul to the devil" ist eine der Textzeilen, die in einer ironischen Mischung aus bitterer Erkenntnis, Entschlossenheit und Heiterkeit gesungen werden. Anfangs sind die Lyrics eher leise, beinahe um die kleinen fiesen Stimmen darzustellen die dir erzählen, dass du lieber einen Plan haben solltest, mit dem du dich vorbehaltlos aufgibst wenn du etwas erreichen willst. Alleine bist du eh nicht gut genug. Eine Frage bleibt stehen: Wie viel bist du bereit für fünf Minuten Ruhm aufzugeben? Wie viel wird es dich kosten und was ist es dir wert?
Typischen Merkmale von The Ongoing Concept durch, ein wenig Chaos gemixt mit genialen Taktwechseln und einem Text, der es bei genauerer Betrachtung in sich hat. Hier geht es um den Preis, den man zahlt um sich ein wenig Ruhm und Ehre zu erkaufen.

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Der vorletzte Titel des Albums "Survivor" hat einen charakteristischen Gitarrenriff, der in unterschiedlichen Variationen durch das dichte Soundgewebe durchschimmert. Bei diesem Song ist Abgehen garantiert, denn die flotten Lyrics in Verbindung mit Gitarre und Schlagzeug, die wieder leichte Jazzelemente mitbringen können keinen Freund harter Musik still stehen lassen. Textlich zieht sich der Faden von "Soul" hier weiter durch. Diesmal steht die Frage "Was kostet es, die Ziellinie erfolgreich zu erreichen?" im Raum. "Survivor, Survivor, you made it out a liar" - Überlebender, du bist als ein Lügner aus der Misere entkommen. Eine Lüge nach der anderen, die wir erzählen um so glimpflich wie möglich durch den Engpass zu entkommen. Am Ende sind wir doch alle gleich - gibt der Erzähler doch zu: Ich bin nur ein Pharisäer, aber du stehst hier neben mir. Wir zeigen mit dem Finger auf andere und sind selbst kein Stück besser, spielen aber beleidigt wenn einer uns des Lügens beschuldigt.

So schnell ist man damit schon am Ende des Albums angekommen, das mit einfachen Akkorden eines Klaviers beginnt, später fallen E- Gitarre und Schlagzeug, aber auch eine Orgel dudelt im Hintergrund und auch die Trompeten haben wieder ihren Auftritt. Der Titel "Falling" erinnert gleichzeitig auch an anderes Lied von The Ongoing Concept - "Falling for a second there, but I caught you" wird hier im Text eingebaut, gefolgt von der Melodie des letzten Songs des Vorgängeralbums "Saloon". Damit haben die vier Jungs aus Idaho wiedermal ein durch und durch rundes Kunstwerk geschaffen. Die Brücke zum ersten Album geschlagen und den Kreis geschlossen mit einem Schnipsen, das langsam in das Schlagen einer Axt auf Holz übergeht. Das letzte was man hört, ist der Baum, der mit einem hölzernen Krachen fällt.

Wer hohe Erwartungen an dieses Album gestellt hatte, der wird definitiv nicht enttäuscht. Mit einer Brillianz, die teilweise etwas an Verrücktheit grenzt haben The Ongoing Concept ein weiteres kleines Meisterwerk geschaffen, dass sich aus dem konventionellen Metal Genre abhebt und keiner Richtung einheitlich zugeschrieben werden kann.
Auf die Idee zu kommen, sich aus einem selbst gefällten Baum die eigenen Instrumente zu basteln und dann im Elternhaus selbst das Album aufzunehmen, zu mastern und mixen benötigt zugegebenermaßen eine kleine Brise Wahnsinn, aber es hat sich gelohnt. Die CD ist ein muss im Plattenregal jeden Freundes harter Musik.
Erhältlich ist sie Online bei Amazon oder dem Shop von TOC.
Wir freuen uns, wenn die Jungs im Winter wieder nach Deutschland kommen, und zwar zur Christmas Rock Night in Ennepetal!


Wie das Album Stück für Stück wirklich handgemacht wurde, könnt ihr auf dem Youtube Kanal der Jungs verfolgen:


...und das Video zu "Unwanted" auf Vimeo anschauen:

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